geändert am 20.12.2006 - Version Nr.: 1. 18
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"Was ist eine gute Kunstkritik?" - Ein Streitdialog zwischen Daniel Constatino und Dr. Dieter Porth
Was ist eine gute Kunstkritik?
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Hierzu fallen mir verschiedenen Unterfragen ein, die über die Qualität einer Kunstkritik entscheiden?
- Welchen Zweck soll eine Kunstkritik haben?
- Welche Rolle hat der Kritiker beim künstlerischen Schaffensprozess?
- Welche Form muss eine Kritik erfüllen?
- Gibt es für die verschiedenen Bereiche der Kultur (Malerei, Dichtung, Musik) unterschiedliche Prinzipien für eine Kunstkritik; oder gibt es gemeinsame Prinzipien, die bei der Form, beim Stil und beim Aufbau einer Kunstkritik einzuhalten sind?
- Was grenzt eine Kunstkritik von einer Meinungsäußerung, von einer Schmährede, von einer Hymne oder von einem Nachruf ab?
- Welchen Stellenwert sollte die Meinung des Kritikers in eine Kunstkritik haben?
Ich möchte den Artikelwettlauf mit der Frage nach dem Zweck einer Kunstkritik beginnen.
--- Zweck einer Kunstkritik ---
Für mich hat Kunstkritik auch immer einen praktischen Bezug. Eine Kunstkritik hat viel mit einem Gutachten gemeinsam. Es soll bei der Entscheidungsfindung helfen. Gerade deshalb setzt man sich doch mit Themen auseinander. Aktuell beschäftige ich mich damit, ob die Inszenierung eines Diskjockey-Set in einer Diskothek vergleichbar ist mit der Kultur typischer staatlich alimentierter Veranstaltungen wie klassischer Konzerte, Theateraufführungen, Lesungen oder Jazzkonzerte. Mich interessiert dabei die speziellere Frage, ob ein Diskjockey-Set kulturell auch gleicher Höhe steht wie ein klassisches Konzert, ein Ska-Pop-Konzert oder ein Jazzkonzert.
Was ist an der zweiten spezielleren Frage praktisch? Nun ich mache in Göttingen beim nichtkommerziellen Lokalfunk (Stadtradio Göttingen) eine Radiosendung. Zu meiner Radiosendung gehört ein Konzertkalender, wo ich möglichst alle Konzerte aus der Region mit Hörprobe kurz ankündige. Die Antwort auf die Frage, ob ein klassisches Konzert vergleichbar mit einem Diskjockey-Set oder anderen Pop-Konzerten ist, entscheidet über echte Sendezeit. Nun habe ich den Anspruch, dass die Entscheidung über Ankündigung und Nichtankündigung gerecht fallen muss. Die Konzertkritik muss über meine eigene Meinung hinausgehen und offenlegen, nach welchen formalen Prinzipien und Regeln sie vorgeht. Die Beschreibung und die Offenlegung der Regeln wird in dem speziellen Fall zur Maßschnur für den Veranstalter. Der Veranstalter lernt aus den Regeln, wann sich die Information über eine bestimmte Veranstaltung lohnt und wann sie sich nicht lohnt.
Dies Prinzip gilt aber auch allgemein. Mit der Beschreibung und Offenlegung der Regeln einer Kunstkritik mache ich die Kunstkritik gerechter, selbst wenn sie zu einem vernichtenden Urteil führt.
Damit eine Kunstkritik gerecht sein kann, muss die neutrale Beschreibung ein sehr großes Gewicht in der Kritik haben. Das abschließende Urteil des Kritikers ist in einer guten Kritik nicht so wichtig. Im Prinzip sind Kritiken denkbar, die ohne explizites Urteil des Kritikers auskommen. Das Urteil in einer Kritik ist weniger wichtig, insbesondere wenn man eine Kritik mit einer Schmährede oder einer Hymne vergleicht. In einer Hymne wird die Lob des Autors zur Autorität erhoben, gleiches gilt für den Spott in einer Schmährede. Auch bei einer Meinungsäußerung hat die Meinung des Schreibers einen hohen Stellenwert, so dass eine gute Meinungsäußerung mit ihren verschiedenen rhetorischen Tricks und Fallen oft keine gute Kritik darstellt.
Abschließend lässt sich sagen: Weil die Kritik der Entscheidungsfindung dient, muss sie ihre eigenen Regeln nachvollziehbar offenlegen und das Objekt seiner Kritik beschreiben.
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