geändert am 31.01.2007 - Version Nr.: 1. 18

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kritisch --- innovativ --- neoliberal

Kunst-Kultur

~ Dr. Dieter Porth - Internet,Göttingen

"Was ist eine gute Kunstkritik?" - Ein Streitdialog zwischen Daniel Costantino und Dr. Dieter Porth - die Antwort von Daniel Costantino.

Zusammenfassung

Täglich erscheinen in verschiedenen Zeitschriften, Journalen oder Fachzeitschriften. Aus Anlass einer Kritik und auf Anregung von Daniel Costantino entstand die Idee zu diesem Schriftdialog über die Frage, was eine gute Kritik ist.
Für mich ist dieser Dialog eine Reflexion über meine gewählte Form der Musikkritiken. Meine Hoffnung ist, dass der geneigte Leser vielleicht viel schneller erkennt, welche Grenzen eine Kritik hat und welche Zielrichtungen Kritiker mit ihren Kritiken verfolgen.
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Pressemitteilung Kontaktlink zu Daniel Costantino [ Homepage ]

[Internet,Göttingen - 22.01.07] [Bericht]

"Was ist eine gute Kunstkritik?" - Ein Streitdialog zwischen Daniel Costantino und Dr. Dieter Porth - die Antwort von Daniel Costantino

nun - es war nicht meine intension zu sagen, es gebe keine objektivität. ich wollte den betrug sichtbar machen, der mit dem wort versucht wird. und zu oft auch erreicht. das essenziell künstlerische liegt nur im subjektiven, im ausgesprochen subjektiven. objektivierbar machen kann man aber das handwerk: zu klassischem gesang gehört es nun mal nach übereinkunft und sitte, dass der sänger astrein intonieren kann. sonst singt er in der falschen disziplin. über die künstlerische leistung aber sagt eine gute intonation noch garnichts aus. ausser man nähme die beherrschung des grundhandwerks schon als kunst. grass kann deutsch. er hat einen lebenslauf, eine lebensgeschichte. er hat ein paar preise gewonnen und ein paar reden gehalten. es entzündet sich eine debatte um seine mitgliedschaft in der waffen-ss. er hätte oder hätte nicht oder früher oder anders oder überhaupt. standpunkt im brustton. moral. empörung. oder flammende verteidigung. und fertig ist mein chefartikel im feuilleton. -
aber bitte: wie schreibt der herr? wie wertvoll sind seine gedanken, die er zu papier bringt? wie steht es um seine sprachliche meisterschaft, um dichterische potenz? oder wenigstens moralische autorität? kläglich, kläglich, kann ich sagen und beweisen...
vielleicht eine abschweifung, aber du hast soviel geschrieben und ich weiss bald nichts mehr zu sagen: ein paar zitate von grass, um beim beispiel zu bleiben und darüberhinaus zu zeigen, wie ich an texte herangehe, prima vista, denn die zitate waren mir bis eben noch unbekannt. (internet sei dank!)

"Im Westen wird derzeit selbstgefällig die Diskussion über den Grundsatz geführt, daß wir das Recht auf eine freie Presse genießen. Aber wer hier nicht Selbstbetrug betreibt, weiß genau, daß die Zeitungen von Anzeigen leben, und daß sie Rücksicht darauf nehmen, was bestimmte wirtschaftliche Kräfte diktieren. Die Presse selbst ist Teil enormer Unternehmensgruppen, welche die öffentliche Meinung monopolisieren. Wir haben das Recht verloren, unter dem Recht auf freie Meinungsäußerung Schutz zu suchen."
(El PAIS Interview, zitiert nach DIE WELT, 10. Februar 2006)

meine kurzanalyse: ein typischer grass! er schreibt in seinen romanen um kein jota besseres deutsch. im gegenteil noch! umständliche, stillose sprache, etwas sperrig und ungelenk wie immer. selbstgefällig wird eine diskussion über einen grundsatz geführt, dass....gehts nicht etwas weniger umständlich, knapper, eingängiger? nein, kann er nicht. hat er nie gekonnt. immer leichter bis mittelschwerer ansatz zu schwulst. und wird die diskussion überhaupt geführt? von wem denn? die ..und-dass-sätze, achgott! man muss stets um drei oder vier ecken denken, bis mans zusammenbringt. das ist ungelenk, unschön obendrein. und was kommt ausser der grossen röhre dann heraus? eine binse! nichts weiter als eine binse, etwas, was wir nun wirklich alle wissen, was er ungestraft herumposaunen kann. dass die zeitungen von anzeigen leben! ach nee, hättest dus gewusst? die presse teil von unternehmensgruppen, ja das hört einer täglich. aber die diskussion darüber? vielleicht zweimal im jahr im dritten programm, lange nach mitternacht, wenn alle schön schlafen. übrigens: diskussion über den grundsatz führen, dass...na, wenns ein grundsatz ist, muss man eigentlich nicht darüber diskutieren. und was zu diskutieren gäbe, stellt den grundsatz ebengerade infrage. solches wischiwaschigeraune in all seinen büchern, exzessiv. er beherrscht das denken nicht! wie grossmütig auch von der presse, dass sie rücksicht nimmt. dabei hätte sies garnicht nötig. es wird ihnen ja nur diktiert. oder wie meinen? wäre sie gezwungen, erpresst, korrupt? du siehst, es passt nichts aufeinander. dass sie rücksicht darauf nehmen....was ihnen diktiert wird! der junge ist wirklich drollig. lies seine 'zwiebel', du wirst sehr lachen können. und wie bischöflich-hirtenhaft geradezu der satz vom schutze, den wir suchten 'unter dem recht auf freie meinungsäusserung'. und, bei lichte besehen: wir hätten natürlich nicht das recht verloren, hier schutz zu suchen. suchen darf man immer noch.
aber so ist er halt, der grass. nicht sehr genau. schwülstig im stil, hochgestochen in den metafern und etwas gar umständlich im satzbau für einen dichter, für einen, der sich also an höchsten massstäben messen lassen muss. (und der die chuzpe hat zu sagen, er sei nicht der einzige grosse erzähler, gerold späth sei ihm fast ebenbürtig! dabei ist späth ein wirklicher erzähler, ein meister des fachs, ein bedeutender, sprachlich auf hohem niveau stehender autor!)
aber grosse moralische instanz! ohne witz gesagt und objektiv!

"Gegenwärtig sind wir - was sich nicht als Gewinn erwiesen hat - nur noch der Hybris einer einzigen Großmacht ausgeliefert, die auf der Suche nach einem neuen Feind fündig geworden ist. Den von ihr mitverschuldeten, weil - siehe Bin Laden - gezüchteten Terrorismus will sie mit Waffengewalt besiegen. Doch der von ihr gewollte und die Gesetze der zivilisierten Welt mißachtende Krieg fördert den Terror und kann nicht enden."
(Günter Grass bei der Eröffnung des 72. Internationalen P.E.N.-Kongresses am 23. Mai 2006 in Berlin)

der sprachliche dilettantismus ist eklatant. der schlusssatz ein graus! grass ist ein schreibapparatschik ohne sprachgefühl und sinn für klares, wahres, kraftvolles deutsch. die hybris - ich habs nachgeschaut, weil ich selbst nur wörter gebrauchen will, die ich genau kenne: vermessenheit, selbstüberhebung, die zu einem schlimmen ende führt. der einschub in strichen (nicht als gewinn erwiesen) ist also reichlich überflüssig. ausserdem kann er nicht sagen, ihr krieg missachte die gesetze der zivilisierten welt, womit das wollen auch schon ausgedrückt wäre. und er wird es nie können. er muss der schwerfälligen partizipwendung (der von ihr gewollte) noch eine zweite hinzufügen und damit den satz hoffnungslos komplizieren (und die gesetze der zivilisierten welt missachtende). geschenkt, was er unter zivilisierter welt denn verstünde, geschenkt auch der zusammenhang von züchten und 'mit'verschulden - was er aussagt, kann ich täglich in der zeitung lesen. die kaut es mir vor. von dort hat ers auch. und käut es wieder. (und es 'erweist sich nicht als gewinn').

"Entsetzt sehen wir, dass der Kapitalismus, seitdem sein Bruder, der Sozialismus, für tot erklärt wurde, vom Größenwahn bewegt ist und sich ungehemmt auszutoben begonnen hat."
(Günter Grass in der Nobelpreisrede).

diese sprache soll man einem dichter durchgehen lassen? einem für seine sprache und seinen politischen intellektualismus mehrfach prämierten schriftsteller? kapitalismus und sozialismus brüder? drei einschübe, bevor er endlich auf den punkt kommt. der vom grössenwahn bewegte kapitalismus, wie kühn und anschaulich der vergleich! der kapitalismus habe den grössenwahn...und erst seitdem sein bruder totgesagt sei - drauf werd ich mit dem kapitalismus mal ein bier trinken gehn. werd ihm ins gewissen reden anstelle seines totgesagten, jedenfalls verschollenen bruders. ne nee, so kann jeder boulevardzeitungsfritze schreiben, aber garantiert. grass schreibt den letzten quark. weder bedeutendes noch überhaupt akzeptables. ihn als gross, als dichter, als autorität hinzustellen, ist ein betrug.

"Ich mußte mir selbst etwas zusammenschustern mit all den Irrtümern und mit all den Umwegen, während Gleichaltrige meiner Generation, Christa Wolf etwa oder Erich Loest, im Osten des Landes sofort mit einer neuen und glaubhaften Ideologie versorgt waren."


es ist ja normal, dass man beim zusammenschustern irren muss, umwege machen muss. die irrtümer und umwege sozusagen mitschustern, hineinschustern muss. kein handwerk ohne umweg! das weiss jeder schuster, nicht wahr? und die gleichaltrigen meiner generation - der weisse schimmel wiehert vor freude. man kann die zitate beliebig fortsetzen, gut formuliert ist keins, einen geraden gedanken sucht man ebenso vergeblich wie einen guten. ich habe sein buch 'beim häuten der zwiebel' besprochen. die zitate sind eher noch besserer grass als die schreibe im roman.

so betreibe ich meine kritik. es gibt eine erste reaktion auf die sprache, auf die formulierung und die qualität der gedanken. versagt einer schon hier, kann ich mir 'literatur' überhaupt nicht zu gemüte führen. die voraussetzungen zur kunst sind nicht gegeben. das niveau des zeilenschinders grass entspricht etwa dem eines sängers, der in einer oper die hauptrolle singt und überhaupt nicht intonieren kann, kein legato zustandebringt, die einsätze verpasst, den rytmus nicht durchhält und erst noch den text durcheinanderbringt. du hättest ihm viele gute ratschläge zu geben. am besten würdest du ihm empfehlen, die sache bleiben zu lassen und sich ein anderes betätigungsfeld zu suchen. er ist einfach in der falschen branche gelandet. dies allerdings, und da wirds nun sehr bedenklich, ist nicht etwa nur seine eigene schuld, sondern mehr noch der geschäftssinn jener, die ihm die hauptrolle zuschreiben und -tragen. das ganze opernhaus ist korrupt.

eine gute kunstkritik sollte intersubjektiv sein, schreibst du, solle die denkmuster offenlegen, nach welchen sie ein kunstwerk analysiert. mir scheint, ich lege die denkmuster eines schriftstellers offen, den ich kritisiere. in einem zweiten schritt, gesetzt, ich schriebe eine kritik über besagte zitate, würde ich mich fragen, wie kommt der mann zu dieser sprache, zu diesen gedanken? das wort boulevard habe ich oben schon geschrieben. grass produziert selbst keine gedanken, er schustert (mit allen intellektuellen irrtümern und sprachlichen umwegen!) ein paar allerweltsweisheiten, banalitäten, binsen und oberflächlichkeiten zusammen. alles geborgt, kaum halbwegs durchdacht und erst noch pennälerhaft formuliert. auch in den romanen: seine stärke sind die aufzählungen, aber er kann sie nicht zu einer stimmung verdichten. fleissig wie ein musterschüler notiert er, was er alles gehört und gelesen und im kopf behalten hat. was käme dir in den sinn, spontan, wenn du ein treppenhaus beschreiben müsstest? zeigen wolltest, was für 'munterschwarze fabeln' du draufhast? nimm das erste beste: klospülung, küchendüfte, katzen...zeige deine vielgelobte fantasie, stell noch einen zänkischen hausdrachen ans treppengeländer, einen ehestreit in den ersten stock, einen besoffenen rentner vor eine wohnungstür, und dann lass es noch ein bisschen nach kohl riechen, nach babywindeln, lass noch was in der küche anbrennen, auch wenn du dich wiederholst, und dann hast du einen echten grass fabriziert. einfach aufzählen, hinplappern, fertig. vielleicht wagst du noch eine dichterische steigerung, ein poetisches treppenhausgeflüster. bitte: 'ihr verlangsamtes reden glich abgestandener dickmilch, auf die sie geriebenes schwarzbrot, gemischt mit zucker, streuten.' bei anderer gelegenheit kannst du dann das reden mit einer cola vergleichen. 'schreiben gegen das vergessen!' wird es lobend heissen. 'surreal-grotesk!' jubelnd schallen. 'in munterschwarzen farben das vergessene gesicht der geschichte gezeichnet!' wird man informieren. ja, genau, pansch noch ein bisschen politik dazu, kommentiere das zeitgeschehen wie oben in den zitaten, schlage die werbeblechtrommel, und man wird dich, wenn du schwein hast, mit literaturpreisen zudecken. gut schreiben darfst du aber keinesfalls, das wäre eine zumutung fürs publikum. und einer dermassen objektiven kritikerkamarilla gegenüber ungerecht, die schliesslich am besten weiss, was dem markte bekömmlich ist.-
bisschen schwierig für mich, zu deinen ausführungen über die aspekte der intellektuellen uniform stellung zu beziehen ohne mich zu wiederholen. zwar wiederholen wir beide uns sowieso. ich finde in deinen kritiken bestätigt, wie du deine herangehensweise beschreibst. ob die uniform dem leser mehr raum für eigne gedanken lässt, zweifle ich allerdings an. uniform steht bei mir synonym für unselbständig, gleichmacherisch, dressiert. du hast deinen kritiken ein system zugrundegelegt, aber du äusserst durchaus eigene eindrücke nebst allem informativen, gegen das ich nichts sagen will. du hältst jedenfalls nicht hinter dem berg und begründest deine eindrücke. ich kann einfach zusammenfassend sagen, dass mir die leidenschaft grundstoff des lebens ist. und der kunst. ich fühle mich von dir gut verstanden. ich kritisiere aber nicht die leidenschaftslosigkeit der kritiker. ich vermisse die leidenschaft in den büchern oder bin begeistert, wenn ich sie echt vorfinde. ich kritisiere die rezeption dahingehend, dass sie unter der maske der objektivität und der sachlichkeit den grössten schwachsinn kolportiert. ein falsches spiel betreibt. ich möchte den kritiker sehen, der seine kritiken ebenso begründet wie ich und mit zitaten nicht geizt, um das gesagte nicht bloss zu behaupten, sondern auch zu demonstrieren. ich weiss, warum gerade dies unterschlagen wird. man würde sich nämlich lächerlich machen, wenn man den beweis anträte, grass sei ein meister der sprache, sein werk bedeutend in literarischer hinsicht. ich soll glauben und kaufen, darum geht es. ein billiges spiel, das zur fortgesetzten verdummung des 'bildungsbürgers' wesentlich beiträgt. was schriebst du über die gesellschaft, die eigentlich keine gebildeten menschen mehr wolle? bingo!
wenn du deine meinung begründen kannst, sagst du sie, auch wenn das nicht die hauptsache deiner artikel ist. das ist zu meiner arbeit kein gegensatz; wir stellen uns ein anderes tema. wo du dir eine kritik nicht zutraust, schweigst du und beschreibst nur das ambiente eines konzerts. recht so. ich äussere mich auch nicht über bücher und autoren, die ich nicht verstehe. aber es ist auch nicht mein tema, über alles, was beispielsweise in der region bern von jungen autoren erscheint, etwas zu sagen. ich biete keine entsprechende plattform, im gegensatz zu dir mit deinen musikern. ich denke, was du betreibst, was ich tue, kann man beides mit anstand machen. ich schätze an deiner arbeit - habe mich umgesehen - die offene art, die offenlegung deiner absicht. ich denke, auch bei mir wird man nach der lektüre einiger kritiken wissen, was man erwarten kann und worüber ich mich kaum aufhalten werde. wir weisen uns aus, und das finde ich anständig. anderes muss man bei andern suchen.
ich schreibe auch keine kritik für den künstler. ich schreibe schon fürs publikum (und für mich selbst). ich zeige dem interessierten leser, wie gute sprache gemacht wird, woran sie sich messen lassen muss, welches die künstlerischen elemente sind, wie ihr wert einzustufen ist nach meinen kriterien, die ich offenlege und damit verifizierbar mache, nicht zuletzt auch durch zitate. würden wir für ein paar wochen unsere arbeit vertauschen und jeder schlüpfte in die rolle des andern, was würden wir tun? ich brächte ein wissen mit vom auftreten und vom funken, der vom künstler zum publikum springt oder nicht. ich habe ein sensorium für die stimmung im raum. ich vermöchte aber nicht zu sagen, ob eine gruppe wirklich den stil beherrscht und vergleichsweise gut ist, da hätte ich keine erfahrung, weil ich die stile nicht kenne. mein sohn ist jazzmusiker, schlagzeuger. ich sage jazzmusiker, weil ich die stile, die er spielt, gar nicht alle nennen kann. ich vergesse alles gleich wieder. ich kann ihm sagen, wie er auf der bühne wirkt, wie die band zusammenpasst und wie die sache rüberkommt. ich weiss, dass die jungs hart arbeiten, weil ich schon zweimal mit ihnen eine lesung veranstaltet und entsprechend mit ihnen geprobt habe. ich hoffe, sie machen ihren weg. aber ich kann eigentlich nur den sänger wirklich beurteilen. mein sohn spielt sowieso fantastisch, weil er mein sohn ist und ich absolut rytmisch untalentiert bin. ich kann ihnen predigen, sie sollen üben, nicht faul sein, die kommunikation mit dem publikum etwas selbstbewusster aufnehmen. ich freue mich mit ihnen, wenn ihnen bei den proben etwas gelingt, wenn sie auf der bühne erfolg haben. ich verstehe die art gut, wie du deine artikel schreibst. ich hör mir an einem konzert auch die andern bands an. ich könnte mir vorstellen, über solche konzerte zu schreiben, stimmungsreportagen. meine stimmung kenn ich und die des andern publikums nähme ich wahr. das wäre der einzige ansatz, weil ich völlig szenenfremd und musikalisch ganz anders geeicht bin.
woran erkennt man leidenschaft? ihr fehlen ist literarisch schneller auszumachen als ihr vorhandensein: sie wird nämlich oft vorgetäuscht. das erkennt man an den schiefen metafern, der schwulst und an gespreizten wendungen. ebenso an verbrauchten, abgeklatschten wörtern. mir stehn die haare zu berge, wenn allen künstlerischen ernstes etwa herz auf schmerz gereimt wird. die wörter haben ein poetisches verfallsdatum. wer sein pötisches seelchen mit reimen à la freiherr von eichendorff ergiesst, ist vielleicht ein guter wortakrobat, aber gewiss kein ernstzunehmender künstler. wer ihm künstlerschaft zuspricht, nicht bei trost. auch mir ist bestimmt manche leidenschaft fremd, unzugänglich, schleierhaft - frage der erfahrung, des alters und des temperaments. dann habe ich zum werk keinen zugang und schreibe auch nicht darüber, vorausgesetzt, die literarische, sprachliche leistung ist in ordnung. ich kann beispielsweise nichts sagen zu paul celan; nichts! sein werk ist mir versperrt. ich spüre und merke, er schreibt ausgezeichnet, dichterisch, vielleicht vollendet. aber ich verstehe seine sprache nicht. vielleicht in zwanzig jahren, wer weiss. ich lese heute erst und verstehe nietzsche, das wäre mir früher unmöglich gewesen. heute habe ich das vermögen, seine gedanken zu begreifen und seine unglaubliche sprachliche leistung, seine hohe meisterschaft zu würdigen, an der ich früher gescheitert wäre. die leidenschaft kann sehr temperiert erscheinen wie bei canetti, aber sie ist spürbar in der dichte seiner sprache, in der intensität der handlung, im seelischen prozess seiner figuren, was alles ohne bedingunslose leidenschaft nicht zustandekäme. er schreibt trotzdem nüchtern und ruhig, majestätisch.
also, eine informationszusammenstellung mach ich bestimmt nicht, das wäre ein anderer job. ich werte, beurteile. die geschmäcker sind verschieden, darüber will ich nicht streiten. wer grass geniessen will, soll ihn geniessen. aber es gibt wertunterschiede. es gibt kriterien, mit denen man zwischen kitsch, konvention und kunst unterscheiden kann. über den literarischen, ebenso über den künstlerischen wert entscheidet nicht der stoff und nicht die weltanschauung. das ausschlaggebende ist das wie. die fähigkeit des ausdrucks und der gestaltung. verlebendigung, versinnlichung, spannung, übergänge, atmosfäre. und am wichtigsten: die sprache!
meine arbeit, die ich mit den textkritiken verfolge, kann es nicht sein, der informationsflut mein eigenes kleines geriesel an information beizugeben. ich habe zu bieten, was wenige bieten, selten einer sich getraut, schon garnicht, klar, wenn er seine anstellung gefährden würde. ich brauche keine solchen rücksichten zu nehmen.
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